Der Wolf aus dem Märchen „Rotkäppchen“ ist ruchlos. Er führt das unschuldige Mädchen plaudernd vom richtigen Wege ab. Das folgt seinen Worten und verliert sich in der Schönheit des Waldes. Entgegen der mütterlichen Vorschrift vergisst es seine Pflicht. Die selbstvergessene Trödelei verschafft dem Wolf die Zeit, zum Haus der Großmutter zu gelangen. Dort nimmt das Unheil seinen Lauf. Die berühmte Waldszene ist eines der ältesten Elemente der uralten Volkserzählung. Sie ist auch in der Version der Brüder Jacob Grimm (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859) enthalten. Die Hanauer Brüder haben das Märchen 1812 in den ersten Band ihrer „Kinder- und Hausmärchen“ aufgenommen
Im Grimm´schen Märchenwald baut sich die Spannung auf. Hier schlägt das Herz der deutschen Romantik. Gefahren lauern hinter jedem Baum. Märchengestalten und wilde Tiere. Der Wald ist eine Gegenwelt zur Zivilisation. In ihm ist der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen. Im Wald kann er aber sich selbst finden. Es gibt wohl kein zweites Märchen, das so vielfach gedeutet wurde wie „Rotkäppchen“. Wissenschaftler aller Disziplinen haben sich darüber die Köpfe zerbrochen.
Der Psychoanalytiker Erich Fromm (1900–1980) deutete die Waldszene so: „Die Begegnung von Rotkäppchen und dem Wolf ist gleichzusetzen mit dem Aufeinandertreffen des Guten mit dem Gewalttätig-Männlichen, dem Außergesetzlichen schlechthin“. Am Ende ist jedoch eigentlich alles ganz einfach. Das Märchen vermittelt die pädagogische Botschaft: Höre ja bloß immer auf den Rat der Erziehungsberechtigten! Das nimmt sich auch das Rotkäppchen am Ende vor: Sein „Lebtag nicht wieder allein vom Wege ab in den Wald zu laufen“, wenn es ihm „die Mutter verboten hat“. Die Welt ist voller Gefahren. So dient der Grimm´sche Märchenwald als Kulisse einer Erziehungsbotschaft.
Article no.: b3215sk
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